Muttermilch oder Flaschenmilch? Wie es scheint, gibt es hier eine emotional geführte Spaltung. Diese kann man so lange ignorieren, bis man selbst in der Situation ist, auf Flaschenmilch angewiesen zu sein.

In diesem Blogpost werde ich meine persönliche Erfahrung und die gängigen Meinungen zu diesem Thema diskutieren.

Wenn die Brust keine Milch produziert

Unsere Tochter sollte mit Muttermilch gestillt werden. Muttermilch oder Flaschenmilch? Diese Debatte stand bei uns vor der Geburt nicht einmal an. Warum auch? Meine Frau ist gesund, fit, alles dran, was eine Mutter braucht. Die Brust wird es sein, so gehört sich das.

Dann war es da, unser kleines Wunder. Meine Frau legte sie an, alles gut. Glaubten wir.

In den Tagen nach der Geburt stellte meine Frau fest: Irgendwie kommt da nichts raus. Aus ihren Brüsten. Jedenfalls nicht viel. Ist das normal? Die Hebamme sagte ja, in den ersten Tagen wird das Kolostrum produziert, das ist noch nicht viel. Nun gut, warten wir mal ab. Derweil wurde die Laune unseres Kindes stetig schlechter. Zudem schien sie immer schmächtiger zu werden.

Von Tag drei auf Tag vier baute unsere Kleine erheblich ab. Wir machten uns Sorgen. Die Hebamme war am Freitag weiter entspannt. Samstagnachmittag kam sie nochmal. Dann wurde gewogen.

Da schlug sie Alarm. Das Kind hat in den ersten vier Tagen bereits über 15% seines Geburtsgewichts verloren. Die Muttermilch sollte längst einschießen. Tat sie aber nicht. Die Hebamme war unentschlossen. Meine Frau sollte abpumpen, die Brust dadurch stimulieren. Tat sie. Kam trotzdem nicht viel mehr raus.

Aus Ideal das Kind hungern lassen?

Wir kauften am Samstagabend noch Pre-Milch. Unsere Tochter bekam unterdessen 30ml-40ml an Muttermilch, pro Tag, mehr nicht. Sie schrie fast unentwegt vor Hunger. Da taten wir es: Wir fütterten sie mit Pre-Milch.

Sieh an, plötzlich hatten wir ein ausgewechseltes Kind. Zufrieden. Lächelnd. Konnte endlich schlafen. Wir atmeten durch. Merkten erst dann, wie hoch unser Stresspegel gewesen war.

Derweil pumpte meine Frau alle zwei Stunden ab, natürlich auch nachts. Frustrierte an der geringen Menge. Weinte mehrfach. Sie wollte das Beste für ihr Kind. Muttermilch. Und jetzt saß sie da, unfähig, ihr Kind zu versorgen. Dachte an die Meinungen über Flaschenmilch. Fühlte sich grausam.

Stigmatisierung von Flaschenmilch

Erst da wurde mir bewusst, dass dieses Thema eine ernsthafte Sache ist. Muttermilch gegen Flaschenmilch. In den sozialen Medien, von denen ich mich genau wegen diesen toxischen Meinungen vor Jahren abgewendet habe. Ohne Absicht auf eine Rückkehr.

Montag kam erneut die Hebamme. Wiegen. Wir erzählten von unserer Tat. Sie bescheinigte uns, das richtige getan zu haben. Obwohl sie auch eher zur Muttermilch motiviert. Das Gewicht unseres Kindes hatte sich stabilisiert. Zudem wirkte sie zufrieden, ohne ständigen Hunger.

Die Flasche ernährte von nun an unser Kind. Manchmal gab es ein paar Tropfen Muttermilch dazu. Trotz Abpump-Session wurde es nicht mehr. Meine Frau und ich, wir mussten reden. Ich analysierte die Thematik. Rekapitulierte die Stillzeit meines Kindes aus erster Ehe, fast zehn Jahre zuvor. Erinnerte mich daran, dass meine Ex-Frau durch die Stillprobleme ein mentales Wrack war. Vermutlich ein wesentlicher Faktor für das Scheitern unserer Ehe. Aber damals hätte ich niemals das Stillen hinterfragt. Das ist doch das natürlichste Welt, oder?

Etymologie zum Stillen

Interessant sind bereits die Termini in der Thematik. Mit der Brust wird “gestillt”, mit der Flasche wird “gefüttert”.

Der Begriff “Stillen” (Ernährung per Brust) stammt aus dem Althochdeutschen “Stillon”, was “beruhigen” oder “zum Schweigen bringen” bedeutet. “Stillen” impliziert die emotionale Bindung des Vorgangs. Es ist ein warmes Wort.

Das Wort “Füttern” (Flasche) hingegen stammt vom Althochdeutschen “Fōtaron”, also “nähren” oder “ernähren”. Dieses Wort ist recht technisch und kühl. Wenn ausgewachsene Menschen ins Restaurant gehen, “essen” oder “speisen” sie dort. In hilfloseren Umständen (wie im Krankenhaus) dagegen würde ein Mensch mit Essen “versorgt” werden. “Füttern” wäre hier ein recht zynischer Begriff, bei Flaschenkindern ist er legitim. Obwohl “Füttern” eher ein Begriff ist, der bei Tieren Anwendung findet.

Technisch gesehen handelt es sich um den identischen Vorgang. Die stärkere Bindung ist ein subjektiver Faktor. Linguistisch wird hier dennoch rigoros unterschieden. Die Abwertung ist nicht zu verkennen.

Quintessenz aus unserem Gespräch zur Pre-Milch statt Muttermilch:

  • Du bist keine schlechtere Mutter, weil du dein Kind mit Pre-Milch fütterst.
  • Hör nicht auf diese ganzen Anti-Flaschen-Meinungen da draußen. Nur reißerische Inhalte werden oft gelesen.
  • Informiere dich rational über Vor- und Nachteile von Flaschenmilch
    • Studien zeigen, dass Flaschenkinder keinen Nachteil haben.
    • Studien, die das Gegenteil behaupten, haben soziokulturelle Faktoren übersehen.
  • Du kannst sogar eine bessere Mutter sein, weil du deine Kräfte schonst, indem wir als Team “füttern” können.
  • Selbst unser Kinderarzt hält die Glorifizierung von Muttermilch für übertrieben
  • Vielleicht hat erst der externe und folglich interne Druck bezüglich Muttermilch und das Ideal, eine perfekte Mutter zu sein, dich verkrampfen lassen und dazu geführt, dass deine Brust zu wenig Muttermilch produziert.
  • Burnout wegen realitätsfernen Idealen raubt dir die Kraft, die du als Mutter brauchst.
  • Unser Kind ist gesund, das ist alles, was zählt. Konzentriere dich auf das Wesentliche. Alles, was über die Fütterung hinaus geht, ist wirklich relevant für die Entwicklung des Kindes. Alles andere ist eine irrationale Stigmatisierung.

Meinungen zu Muttermilch oder Flaschenmilch

Muttermilch ist das Beste

Ich bin der Meinung, dass Muttermilch das Beste für das Kind ist. Die Natur hat es so eingerichtet. Das “Füttern” mit der Flasche ist schlechter für die Entwicklung des Kindes. Als Mutter sollte man doch das Beste für sein Kind wollen.

Flaschenmilch ist genauso gut

Ich glaube, dass Studien belegen, dass Flaschenmilch mittlerweile nicht schlechter gestellt ist als Muttermilch. Flaschenkinder haben keine Nachteile. Eher Vorteile, weil der Vater ebenfalls stillen und somit die Mutter entlasten kann. Das sorgt für Gleichberechtigung und eine bessere Bindung zum Vater. Zudem wird die Burnout-Gefahr der Mutter erheblich gesenkt. Sie hat mehr Schlaf, ist ausgeglichener und kann dadurch ihre Rolle als Mutter langfristig besser wahrnehmen. Mütter und Flaschenkinder schlechter zu stellen, ist diskriminierend und unwissenschaftlich.

  

Fazit bezüglich Stillen oder Flaschenmilch (ein Versuch)

Wer sich mit der Thematik auseinandersetzt, erkennt, dass es hier wohl keinen goldenen Weg gibt. Vor allem ist das Thema emotional aufgeladen. Es scheint, mehr um den Meinungskrieg zu gehen als um das Wohl von Mutter und Kind.

Es ist destruktiv, sich über die Entscheidungen von Müttern bzw. Eltern zu stellen, weil eine ideale Vorstellung vertreten wird. Ob Muttermilch oder Flaschenmilch, einer Mutter muss die Freiheit eingeräumt werden, ohne Stigmatisierung für sich und ihr Kind entscheiden zu können. Zumal sogar die Wissenschaft uneins darüber ist, ob Muttermilch oder Flaschenmilch besser ist. Und was dieses „besser“ überhaupt beinhaltet. Selbst wenn einer Art der Fütterung einen geringen Vorteil in dieser und jener Hinsicht nahelegt, es muss immer noch das Wohl der Mutter berücksichtigt werden. Mit der Selbstaufopferung der Mutter für Vorteile, die am Ende durch die Qualität der Erziehung bzw. Kindheit ausgeglichen werden können, ist niemandem geholfen.

Entscheidend für den Fortschritt in dieser Sache ist der offene und fundierte Diskurs. Meinungen, die zum Movement oder in Aufruhr versetzen sollen, sind nichts weiter als ein toxisches Produkt, das dem Urheber dienen soll, nicht den Müttern. Verurteilung einer Gegenmeinung ist nur sinnvoll, wenn dadurch das Leid von wehrlosen Menschen vermieden wird. Ansonsten ist dies ein delikates Unterfangen, dem es oftmals an moralischen Grundsätzen mangelt. Empathie ist Voraussetzung für eine konstruktive Diskussion. Alles andere ist nicht mehr als ein Meinungskrieg, der vielleicht für Engagement und Klicks sorgt, aber nicht zur Lösung des Problems beiträgt.

  

Wissenschaft

Um diese Diskussion zu untermauern sind hier einige wissenschaftliche Quellen für das weitere Studium. Allerdings gilt auch hier: nicht alle Studien sind gleichwertig. Kritisches Denken ist stets vonnöten. Welche Parameter wurden berücksichtigt und geprüft? Wer führte die Studie durch und wer finanzierte sie? Welche Denkverzerrung liegt vor? Ist aus der Studie eine Agenda herauszulesen?

  • Why we shouldn’t demonize formula feeding – Harvard Health:
    • Dieser Artikel argumentiert, dass Flaschenfütterung nicht dämonisiert werden sollte. Es wird darauf hingewiesen, dass Flaschenfütterung in bestimmten Situationen das Stillen unterstützen kann, wie z.B. bei Neugeborenen, die ein riskantes Maß an Gewicht verloren haben, oder bei Müttern, die sonst ganz aufgeben würden.
  • The Benefits of Formula Feeding – Boeson Research:
    • Dieser Artikel listet eine Reihe von Vorteilen der Flaschenfütterung auf, darunter die Möglichkeit, dass beide Elternteile oder Betreuer das Baby füttern können, weniger häufige Fütterungszeiten, da die Flaschenmilch länger satt hält, und es verschiedene Milchtypen für Babys mit speziellen Ernährungsbedürfnissen gibt.
  • Flaschen- oder Stillen: Eine Frage der öffentlichen Gesundheit?
    • Dieser Artikel diskutiert die öffentliche Gesundheitsperspektive auf das Stillen und die Flaschenfütterung. Es wird argumentiert, dass die Entscheidung für die Flaschenfütterung eine legitime Wahl sein kann, abhängig von den individuellen Umständen und Bedürfnissen der Mutter.
  • Schutz vor Infektionen und Krankheiten:
    • Eine Studie hat gezeigt, dass gestillte Kinder weniger anfällig für Infektionen und Krankheiten sind. Dies liegt daran, dass Muttermilch Antikörper enthält, die das Immunsystem des Kindes stärken.
  • Vorteile für die Mutter:
    • Das Stillen hat auch Vorteile für die Mutter, einschließlich eines reduzierten Risikos für Brust- und Eierstockkrebs, Typ-2-Diabetes und postpartale Depression.